Forschung und philosophische Fragen sind spannend – wenn sie nur nicht so schwer zu verstehen wären! Wie gut, dass es Öcher:innen gibt, die die Dinge leicht und witzig erklären. Und andere zum Denken einladen.
Das Los hat entschieden: Pflanzenforscher David Spencer geht als Erster auf die Bühne des Stuttgarter Science Slams. Vier Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Fachgebiete sind nach dem Aachener an der Reihe. Die rund einhundert Leute im Publikum empfangen David mit lautem Beifall und Johlen. Endlich geht es los, die ersten Bierflaschen sind schon leer.
Am Schluss entscheidet die Applaus-Lautstärke, wer das Publikum am besten unterhalten hat. Er oder sie bekommt dann eine kleine Trophäe. Doch eigentlich ist alles ein großer Spaß. Wer einen Science Slam besucht, will keinen Wettkampf sehen, sondern lachen, jubeln und auf dem Heimweg ein bisschen mehr wissen als vorher.
„Alle haben ein Recht darauf, Wissenschaft verständlich erklärt zu bekommen. Schließlich wird die Forschung von unseren Steuern bezahlt.“
David Spencer ist Pflanzenforscher, Science Slammer und Öcher.
David erzählt, dass die Sojabohne das gleiche Problem hat wie ein Mops, der über eine Wiese rennt: Denn auch die Bohne ist überzüchtet. Dann japst er wie ein atemloser Hund und kriegt die ersten Lacher. Die starke Züchtung der Sojabohne hatte das Ziel, mehr ernten zu können. Aber die Pflanze ist deswegen jetzt anfällig für eine Pilzkrankheit. David erklärt, dass hier ein genetischer Eingriff die Sojabohne schützt und dass dies nicht gruselig ist, sondern nachhaltig und vernünftig.
Selbst erforscht an der RWTH
Er hat darüber an der RWTH Aachen gerade seine Doktorarbeit in Biologie geschrieben. Und das ist auch schon die erste Regel beim Science Slam: Alle sprechen nur über das, was sie selbst erforscht haben. Die zweite Regel lautet: Alle im Publikum sollen verstehen, was an diesem Forschungsgebiet spannend ist. Man muss es also einfach und unterhaltsam erzählen.
David sagt: „Mir ist immer wichtig, dass ich den Menschen einen Link in ihr eigenes Leben gebe. Beim Thema Pflanzenzucht geht das besonders gut, wenn ich die Brücke zur persönlichen Ernährung schlage.“
Drei Dinge über Pflanzen, die du vielleicht nicht wusstest
Wir essen nur
eine einzige Art
Gemüsekohl.
Wir essen nur eine einzige
Art Gemüsekohl.
Moment mal: Grünkohl, Kohlrabi, Blumenkohl, Wirsing, Brokkoli, Rosenkohl und so weiter – das sind doch ganz schön viele verschiedene! Ja, aber alle gehören nur einer einzigen Pflanzenart an, der Brassica oleracea. Dass sie so verschieden aussehen, liegt daran, dass jahrhundertelange Züchtungen unterschiedliche Teile der Pflanze extrem ausgeprägt haben, etwa den oberirdischen Spross, die Blätter oder die ungeöffneten Blütenknospen.
Pilze
sind keine
Pflanzen.
Pilze sind
keine Pflanzen.
Pilze bilden ein eigenes riesiges Reich innerhalb der Lebewesen: vom Champignon über Flechten bis zur Hefe. Anders als Pflanzen müssen Pilze organische Materie essen und verdauen, zum Beispiel totes Holz. Genetisch gesehen sind Pilze sogar enger mit Tieren verwandt als mit Pflanzen. Sie haben aber (wahrscheinlich) kein Nervensystem und fühlen keine Schmerzen. Pilze sind noch nicht komplett erforscht. Wissenschaftler:innen finden immer wieder Neues über sie heraus.
Auch Pflanzen
leiden unter
Pandemien.
Auch Pflanzen leiden
unter Pandemien.
Besonders Nutzpflanzen sind betroffen: Sie stehen eng aneinander auf Äckern und Plantagen und können kein Social Distancing betreiben. Wenn Viren, Bakterien oder Pilze sie befallen, stecken sie ruck, zuck ihre Nachbarn an. Das führt zu Ernteausfällen. Zurzeit ist zum Beispiel die Panamakrankheit ein Problem für Bananenstauden. Um eine weltweite Ausbreitung von Pandemien zu verhindern, brauchen importierte Pflanzen einen Gesundheitspass, eine Art negativen Schnelltest.
Viele Forschende merken, dass das Interesse an Wissenschaft in letzter Zeit gestiegen ist. Und dass immer mehr Leute auch schwierigere Zusammenhänge verstehen möchten. „Ich glaube, die Corona-Pandemie hatte hieran einen Anteil. Auf einmal waren wissenschaftliche Themen wie Ansteckung oder Impfung für alle Menschen wichtig. Und sie wollten wissen, welchen Informationen sie vertrauen können“, sagt David.
Das gilt auch für eines seiner Hauptthemen: Gentechnik. David will zeigen, dass ertragreiche Nutzpflanzen wichtig für die Ernährung der Weltbevölkerung sind. Und dass es für die Umwelt gut ist, wenn die Nutzpflanzen nicht mit Pflanzenschutzmitteln besprüht werden. Denn mit einer genetischen Veränderung bleiben sie von alleine gesund.
„Ich will nicht missionieren. Aber mir ist wichtig, weiterzugeben, was ich gelernt habe. Denn die Menschen sollen gut informiert sein, wenn sie über Themen wie etwa Gentechnik heiß diskutieren.“
Im Gedankenraum für Philosophie: Logoi
Das Logoi in der Jakobstraße ist ein Treffpunkt für alle, die Philosophie mögen. Gemeinsam nähern sie sich dann Fragen wie: „Was ist schön?“, „Woran erkenne ich Gerechtigkeit?“ oder „Was ist Wahrheit?“. Jürgen Kippenhan ist Philosoph an der RWTH und hat 2008 das Logoi eröffnet. Er sagt: „Ich freue mich immer, wenn wir gemeinsam auf bessere Begriffe und neue Einsichten kommen. Denn ich glaube, es ist wichtig, dass wir die eigenen Gedanken von Zeit zu Zeit nachschärfen, um klarer zu sehen.“
Das gelingt seiner Meinung nach am besten, wenn Menschen in einer überschaubaren Runde respektvoll und auf Augenhöhe miteinander sprechen. „Im Grunde ist das der Ursprung der Philosophie: nicht alleine im Kämmerlein denken, sondern im Austausch mit anderen“, sagt Jürgen. Zusammen mit seinen Kolleginnen Susanne Vaaßen und Ines Finkeldei veranstaltet er im Logoi Vorträge, Lesungen oder auch Kunstausstellungen – alles mit anschließender Diskussionsrunde für alle.
„Philosophieren kann jeder, man braucht kein Vorwissen. Bei unseren Tischrunden sind alle eingeladen, ihre Gedanken zu äußern.“
Jürgen Kippenhan hat vor 15 Jahren das Logoi gegründet.
Beliebt beim Logoi-Team sind die regelmäßigen philosophischen Tischgespräche: Hier sitzen rund zwölf Menschen um einen Tisch und reden entspannt bei Essen und Trinken über ein vorher vereinbartes Thema. „Alle sind eingeladen, ihre Gedanken frei zu äußern. Vorwissen braucht es nicht und jeder Wortbeitrag zählt“, sagt Jürgen.
Entspannt und respektvoll heißt jedoch nicht, dass am Ende alle derselben Auffassung sind. Im Logoi werden auch aktuelle und streitbare Themen diskutiert, wie neulich etwa der Ukrainekrieg. Susanne erzählt: „Wir hatten eine Frau aus der Ukraine zu Gast, die direkt aus dem Krieg zu uns kam. Und manche Teilnehmer der Runde sprachen sich aus grundsätzlichen Erwägungen heraus gegen deutsche Waffenlieferungen aus. Die Spannung im Raum war manchmal schwer auszuhalten, aber darum geht es ja: andere Perspektiven zulassen.“
Drei Fragen, die du dir vielleicht noch nie gestellt hast
Glaube ich etwas,
weil ich Ungewissheit
nicht aushalte?
Glaube ich etwas,
weil ich Ungewissheit
nicht aushalte?
Wir Menschen sind nicht gut darin, für etwas keine Erklärung zu haben. Die Versuchung ist groß, dass wir uns dann Antworten einfach ausdenken und sie fest glauben: zum Beispiel in der Religion oder der Astrologie. Wieviel von dem, was ich weiß – oder zu wissen glaube – weiß ich eigentlich wirklich? Und was habe ich einfach jemand anderem geglaubt oder selbst erfunden, damit ich beruhigt bin?
Haben
Tiere auch
Rechte?
Haben Tiere
auch Rechte?
Am Sonntag gibt’s lecker Hundebraten! Warum klingt das komisch? Kühe, Hühner und Schweine töten wir doch auch, um sie zu essen. Und überhaupt: Haben Tiere nicht das Recht auf ein freies Leben? Wir Menschen behandeln Hunde wie Freunde, sperren aber andere Tiere in Käfige. Weil es uns so gefällt. Dürfen wir das?
Sind Stimmungen
wichtiger als Gedanken?
Sind Stimmungen
wichtiger als Gedanken?
Wenn du eine Talkshow anschaust, hast du wahrscheinlich schon am nächsten Tag vergessen, was genau gesagt wurde. Aber du erinnerst dich noch lange daran, dass die eine so aggressiv war und der andere so nervös wirkte. Auch wenn wir selbst mit anderen Leuten sprechen, ist die Stimmung oft wichtiger für einen gelungenen Austausch als das Gesagte. Ist das Fühlen vielleicht wichtiger als das Denken?
David Spencers Vorbild: maiLab
Die RWTH organisiert 2019 einen Science Slam. Weil David ohnehin Bühnenerfahrung hat – er tritt seit vielen Jahren mit seiner Band auf –, sagt er spontan zu, als er gefragt wird. Er berichtet: „Und dann stand ich plötzlich im vollgefüllten Audimax, dem größten Hörsaal in Aachen, vor 1.200 Leuten. Mein Fitnessarmband schlug Alarm – so hoch ging mein Puls!“
Und dann gewinnt David auch noch! Fortan bekommt er immer wieder Anfragen für Auftritte aus ganz Deutschland. Mit der Corona-Pandemie endet all das jäh. Keine Veranstaltungen mehr. Doch David möchte weitermachen und Wissen über sein Forschungsgebiet zugänglich vermitteln. Er schreibt ein Buch, startet einen Podcast und lädt Erklärvideos auf YouTube hoch. „Inzwischen gehe ich auch über die Grenzen meines Fachgebietes hinaus und kläre zum Beispiel über nachhaltigen Konsum auf“, sagt er.
Dieses Jahr hat David beschlossen, die Wissensvermittlung zu seinem Hauptberuf zu machen. Er orientiert sich dabei an der bekannten Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim, die wie David an der RWTH an ihrer Doktorarbeit schrieb und an Science Slams teilnahm. Mai Thi erklärte auf ihrem YouTube-Kanal maiLab, wie Wissenschaft funktioniert, und hat inzwischen ihre eigene Sendung im ZDF. David: „Das ist großartig! Denn ich finde, wir aus der Wissenschaft schulden es der Gesellschaft, unsere Arbeit verständlich zu erklären. Schließlich wird Forschung ja vom Steuergeld aller bezahlt.“
Philosophie auf der Straße
Auch Susanne und Ines vom Logoi beschäftigt die Frage, wie sie möglichst viele Menschen mit ihren Themen erreichen. Denn obwohl sich ihr Angebot an alle richtet und die Veranstaltungen fast alle gratis sind, kommen doch meist nur Studierende und ältere Personen mit akademischer Vorbildung zum Philosophieren ins Logoi. Ines sagt: „Das ist schade, denn wir glauben, dass alle Leute gute Gedanken beizutragen haben und jede Perspektive wichtig ist.“ Also haben die beiden beschlossen, die Philosophie zu den Menschen zu tragen.
Das Logoi veranstaltet zum Beispiel Schreibwettbewerbe an Aachener Schulen, bei denen Kinder und Jugendliche sich mit philosophischen Themen auseinandersetzen. Und seit 2022 gibt es „Philosophy in the Streets“. Ines erklärt: „Die Idee ist, philosophische Diskussionen an öffentlichen Orten wie dem Ludwig Forum oder dem Uni-Campus zu führen und mit kleinen Theaterstücken und szenischen Lesungen aufzulockern. Bei den ersten drei Veranstaltungen konnten wir ein Publikum miteinbeziehen, das wir bisher eher weniger erreicht haben.“
Nach dem Stuttgarter Poetry Slam steht David noch in einem Kreis und plaudert mit Zuschauer:innen. „Das sind immer die besten Momente. Denn da merke ich, was ankam. Und die Leute erzählen mir dann etwas, was sie wissen. Beim Quatschen mit den Zuschauern kommen mir dann oft die besten Ideen für meinen Podcast!“ Ach ja: Beim Science Slam landete an diesem Abend jemand anders auf dem ersten Platz. Aber das ist letztlich allen schnuppe, denn gewonnen haben heute eh alle.