Ober­ir­di­sche Bäche in AachenLasst sie fließen!

Aachen hat seine Innen­stadt­bäche verloren. Helmut Berg und Markus Ulrich holen sie jetzt zurück.

Wasser plät­schert in der Aachener Innen­stadt. Kinder lassen Schiff­chen sausen. Erwach­sene lauschen dem Wasser und erholen sich im Baum­schatten von der Alltags­hektik. Davon träumt Helmut Berg schon seit Jahren. Helmut ist Bauin­ge­nieur und beschäf­tigt sich sein ganzes Berufs­leben lang mit den Seen, Flüssen und Bächen zwischen Rhein und Maas. Seit Kurzem ist er im Ruhe­stand und es sieht so aus, als ob sein Traum bald Wirk­lich­keit wird.

Posi­tiver Effekt von Bächen

Denn 2019 trifft er auf jemanden, der seine Liebe zum Plät­schern teilt: Die Stadt Aachen beauf­tragt Helmut damit, in einer Studie zu klären, wo und wie in der Innen­stadt Bäche sichtbar und erlebbar gemacht werden könnten. Vorbild ist der 1999 umge­baute Linden­platz, wo seither ein Teil des Johan­nis­bachs ober­ir­disch läuft. Der zweite Experte, der an der Bach­studie mitar­beiten soll, ist Markus Ulrich. Markus ist Archi­tekt und Stadt­raum­ge­stalter. Fortan sehen sich die beiden Männer häufig, inspi­rieren einander und freunden sich bald an.

Markus erzählt: „Die Vorstel­lung von flie­ßendem Wasser mitten in der Stadt hat mich gepackt. Ich glaube, Bäche haben auf uns Menschen eine natür­liche Wirkung: entspan­nend, bele­bend, irgendwie inner­lich kühlend.“ Helmut ergänzt: „Wie in einer Oase. Es ist ein sinn­li­ches Erlebnis: das plät­schernde Geräusch, Licht und Schatten an der Wasser­ober­fläche und der Anblick über­spülter Steine. So etwas zieht die Leute magisch an, beson­ders die Kinder.“

„Wasser zieht die Leute magisch an, beson­ders die Kinder.“

Helmut Berg

Bei Helmuts und Markus’ Studie kommt heraus, dass es mit über­schau­barem Aufwand möglich wäre, einen großen Teil des Bach­was­sers wieder sichtbar durch die Innen­stadt fließen zu lassen. Doch statt nach der Studie mit dem Thema abzu­schließen, fangen die beiden nun erst richtig an. Helmut sagt: „Jetzt wollen wir die Bäche auch wirk­lich haben!“

Sie beschließen, von nun an in ihrer Frei­zeit alles dafür zu tun, damit die Öcher:innen ihre Bäche zurück­be­kommen. Sie gründen die Initia­tive „Aachener Bäche ans Licht“, schließen sich damit der „Bürger­stif­tung Lebens­raum Aachen“ an, holen wich­tige Kommu­nal­po­li­tiker ins Boot und tragen ihre Idee in Vereine und Clubs. „Eigent­lich hielten alle das für eine gute Sache, viele wollten gleich helfen. Ich erin­nere mich, dass in den 1980er und 90er Jahren solche Ideen immer abge­schmet­tert wurden. Park­plätze – das war das Totschlag­ar­gu­ment. Heute denken die Leute anders darüber: Ja, die Bäche nehmen Park­plätze weg, aber sie geben uns statt­dessen etwas viel Wert­vol­leres“, erzählt Helmut, und Markus fügt hinzu: „Wahr­schein­lich hat das Umdenken mit dem Klima­wandel zu tun. Die Sommer werden heißer – da sehnt man sich nach Schatten und kühlem Nass. Und die Autos sind auch nicht mehr so heilig wie früher.“

Der Bever­bach, kurz bevor er im Kanal versinkt.

Die Pau – unter der Innen­stadt gefangen im Dunkel.

Markus’ und Helmuts Projekt findet immer mehr Anhänger. Es gibt zehn Bäche unter der Innen­stadt, insge­samt fünf­und­zwanzig Kilo­meter Wasser­lauf. Die beiden wasser­reichsten und bedeu­tendsten Bäche der Aachener Innen­stadt sind der Johan­nis­bach und die Pau. Sie entspringen im Stadt­wald, fließen Rich­tung Innen­stadt, verschwinden dann in der Tiefe, rinnen durch alte, wunder­schön geklin­kerte Kanäle und speisen die Brunnen. Schließ­lich sammeln sie sich unter der Erde und treten mit der Wurm vereint am Euro­pa­platz wieder aus.

Die Cholera versenkt die Bäche

Aber warum fließen die Aachener Bäche über­haupt unter der Erde? Als vor rund 200 Jahren in Aachen – wie im Rest Europas – die ersten modernen Fabriken ihre Tore öffnen, ziehen immer mehr Menschen aus dem Umland in die Stadt, um dort zu arbeiten. Beides tut den Bächen nicht gut. Die Abwässer der Indus­trie und all der neuen Stadtbewohner:innen werden einfach in die Bäche geleitet. Die Bäche verschmutzen. Immer wieder brechen in Aachen Krank­heiten aus, auch die gefähr­liche Cholera. Darum beschließen die Stadt­oberen Ende des 19. Jahr­hun­derts, eine moderne Kana­li­sa­tion anzu­legen. Im Zuge dessen leiten sie auch gleich die Innen­stadt­bäche durch unter­ir­di­sche Kanäle. Mit Erfolg: Die Krank­heits­wellen enden.

Markus kennt sich bestens mit der Bauge­schichte Aachens aus und erzählt: „Die Leute hätten damals Bach­wasser und Abwasser auch in einem einzigen Kanal zusam­men­legen und mischen können. Aber man baute getrennte Leitungen: Das Schmutz­wasser rinnt viel tiefer unter der Stadt, das frische Bach­wasser wird nah an der Ober­fläche geführt. Was für ein Glück, weil wir deshalb die Bäche recht leicht wieder ans Licht holen können.“ Heute ist das Bach­wasser längst wieder sauber und klar.

 „Die Bäche zurück ans Tages­licht zu holen ist zum Glück recht leicht.“

Markus Ulrich

Wasser prägte die Stadt Aachen

Wenn Markus über die Innen­stadt­bäche spricht, ist er gleich bei der gesamten langen Stadt­ge­schichte. „Schon allein der Name Aachen stammt vom latei­ni­schen Orts­namen Aquae, auf Deutsch: die Gewässer. Aachen war die ganze Geschichte hindurch eine Stadt mit viel Wasser. Aber heute sieht man das kaum noch. Ich finde das schade.“ Zum einen sind es damals die warmen Quellen, die die ther­mal­bad­be­geis­terten Römer:innen anziehen. Zum anderen nutzen die früheren Aachener:innen die Bäche ausgiebig, um sich ein Stück Wohl­stand zu schaffen: Sie stellen Messing oder Stoffe für Kleider und Segel her – beides Tätig­keiten, für die man viel Wasser braucht. Und sie bauen zahl­reiche Mühlen an ihre Bäche.

Wie sehr das Wasser die Stadt geprägt hat, erkennt Markus überall. Zum Beispiel in der Klap­per­gasse. Eine Legende besagt, dass Karl der Große zur Einwei­hung des Doms einst 365 Bischöfe lud, für jeden Tag des Jahres einen. Es kamen aber zwei zu wenig, weswegen sich zwei tote Bischöfe aus ihren Gräbern erhoben und als klap­pernde Gerippe erschienen. Daher der Name Klap­per­gasse. Markus lächelt: „Nun, in Wahr­heit rührt der Name vom Klap­pern der eins­tigen Bruder­mühle am Johan­nis­bach. Ein ober­ir­di­sches Gerinne in der Klap­per­gasse würde allen Aache­ne­rinnen und Aache­nern diesen Teil ihrer Stadt­ge­schichte erlebbar machen.“

Der offene und versteckte Bach­reichtum Aachens. (Karte: Thomas Heinen, © mapz.com – Map Data: Open­StreetMap ODbL)

Andere Städte haben längst ihre Bäche zurück in die Stadt geholt: Die Frei­burger Bächle prägen die gesamte Altstadt, auch die Bewohner:innen von Biele­feld und der fran­zö­si­schen Städte Amiens und Troyes lieben ihr Wasser. „Ich glaube, dass die Bäche Iden­tität stiften: noch etwas, worauf wir in Aachen stolz sein können.“

Obwohl Markus’ und Helmuts Initia­tive erst im Februar 2020 anläuft und dann sofort von Corona ausge­bremst wird, sind die beiden zusammen mit ihren zahl­rei­chen Unter­stüt­zern weit gekommen: Die Stadt Aachen will derzeit den Thea­ter­platz umge­stalten. Eine Anfor­de­rung dabei: Die dort unter­ir­disch flie­ßende Pau soll ans Licht geholt werden. Schon 2023 wird es hier wohl konkret.

Doch das ist den Bach­freunden natür­lich noch nicht genug. Helmut sagt: „Gerade trom­meln wir für unsere Idee, die Pau von der Klap­per­gasse durch die Renn­bahn fließen zu lassen. Und auch in der Oppen­hof­fallee könnte auf dem Grün­streifen in der Mitte ein Bach plät­schern. Der Aufwand wäre dort beson­ders gering, um das Wasser ans Licht zu holen.“ Gute Ideen breiten sich aus: Inzwi­schen prüft die Stadt Aachen auch für Burtscheid, wo die dortigen unter­ir­di­schen Bäche wieder sichtbar verlaufen könnten. 


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