Öcher:innen machen Aachen lebens­werterDer Norden packt an

Der Aachener Norden ist heute schöner als früher. Und es ist mehr los. Unter­stützt durch Förder­gelder haben Anwohner:innen ihren Stadt­teil an vielen Stellen lebens­werter gemacht. Vier von ihnen zeigen, wie sich das Viertel rund um die Jüli­cher Straße neu erfindet.

Im Herzen ist Harry Hoch­radl ein Junge geblieben. Das sieht, wer ihm in die Augen blickt und ihm zuhört. Harry steckt im Körper eines 63-Jährigen und arbeitet als Hand­werker auf dem Aben­teu­er­spiel­platz „Zum Kirsch­bäum­chen“. Im vergan­genen Winter hat er dort auf der großen Wiese ein Pira­ten­schiff gebaut.

Das Schiff ist aus Holz, 20 Meter lang und vier Meter breit. Der Mast ragt fast so hoch wie die Bäume ringsum. Dort oben baut er bald den Korb für die kleinen Piraten fertig – damit sie eine gute Aussicht haben auf die Schätze, die sie als Nächstes erbeuten. Im Bauch des Schiffs steckt ein Laby­rinth aus Feuer­wehr­schläu­chen. Hier können Mädchen und Jungs prima klet­tern und sich verste­cken. An Deck ist ein Steu­errad und meis­tens jede Menge Kinder­ge­brüll. „Mit diesem Baupro­jekt habe ich in die Tat umge­setzt, was ich mir schon als Junge wünschte“, sagt Harry und ist glück­lich über die Frei­heit, die er bei der Planung hat.

„Für die Kinder in diesem Viertel ist der Spiel­platz ein Riesen­ge­winn.“

Harry Hoch­radl, Hand­werker

Dieser Spiel­platz ist außer­ge­wöhn­lich. Er breitet sich auf einer riesigen Wiese, ganze 10.000 Quadrat­meter groß, aus. Neben der Ritter­burg gibt es eine Klet­ter­wand, hinter dem Urwald eine Ecke für den Hüttenbau, einen Schwenk­grill und einen Lehm­ofen zum Drau­ßen­ko­chen, eine Schieß­an­lage für Bogen­schützen, eine Schmie­de­hütte, einen Römer­turm und noch so viel mehr. Der Aben­teu­er­spiel­platz entwi­ckelt sich, es gibt ständig Neues zu gestalten und zu erfinden. Jeden Tag sind Harry und die Betreuer:innen und Sozialpädagog:innen vom Kinder­schutz­bund hier und erwarten die Fünf- bis Fünf­zehn­jäh­rigen.

Frei und wild

Auf der Wiese beim Mira­bel­len­baum bauen sich die Kinder eigene Bret­ter­buden. Säge, Hammer und Nageldose holen sie sich bei Harry im Bauwagen. Danach lässt er sie machen. „Mensch, da entstehen echt tolle Sachen – sogar Hütten mit Brücken!“, schwärmt er. Die Kinder kommen meis­tens aus dem Viertel und aus der Schule in der Nähe. „Für die Jungs und Mädchen in diesem Viertel ist der Spiel­platz ein Riesen­ge­winn“, ist sich Harry sicher. „Sie können draußen in der Natur spielen, sich austoben und ihrer Fantasie freien Lauf lassen.“

Peter-Michael macht mit

Peter-Michael Schmidt schaute von seinem Küchen­fenster auf den Rehm­platz hinunter. So, wie er es immer tat, wenn er sich Früh­stück zube­rei­tete. In der Eckkneipe unten an der Otto­straße tat sich an diesem Morgen im Jahr 2011 etwas. Peter-Michael wurde neugierig und beschloss, auf seinem Routi­n­egang am Mittag da vorbei­zu­spa­zieren und den Kopf hinein­zu­ste­cken. Der 70-Jährige fand heraus, dass in der ehema­ligen Kneipe das Stadt­teil­büro Aachen-Nord einge­zogen war.

Direkt vor der Tür von Peter-Michael ist es jetzt schöner. Auf den Stufen der Mari­en­säule lässt es sich hervor­ra­gend sitzen.
Von seinem Fenster aus sieht Peter-Michael direkt auf den Rehm­platz. Und das schon seit 38 Jahren.

Silke Gärtner ist Quar­tiers­ma­na­gerin und erin­nert sich noch gut an diese erste Begeg­nung. „Menschen wie Herr Schmidt sind für unser Projekt Gold wert. Wir beziehen nämlich die Anwohner in die Stadt­ent­wick­lung mit ein. Wir wollen wissen, was sie wissen, was sie vermissen und was sie sich wünschen. Mit diesen Erfah­rungen können wir helfen, etwas Neues und Sinn­volles für den Stadt­teil zu entwi­ckeln.“ Das Projekt, an dem Silke Gärtner seit mehr als zehn Jahren arbeitet, heißt „Soziale Stadt Aachen-Nord“.

Der Aachener Norden liegt auf der Stadt­karte ober­halb vom Adal­bert­steinweg. Er sieht aus wie ein großes Kuchen­stück. Dieses Stück Aachen hat seine Spitze in der Innen­stadt und seinen Rand am Stadt­be­zirk Aachen-Haaren. In diesem Stück liegen zum Beispiel der Euro­pa­platz und die Jüli­cher Straße. Auch die Wurm schlän­gelt sich hier durch ihr Tal. Es gibt den Kurpark, die Therme, das Museum Ludwig Forum, das neue Depot Talstraße, das Das Da Theater, das Gebiet um den alten Schlachthof – eine wilde Mischung aus Tradi­tion und Inno­va­tion, Indus­trie und Kultur.

Hier leben 15.500 Öcher:innen. Viele in beschei­denen Verhält­nissen, viele haben einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Die Arbeits­lo­sig­keit liegt über dem Schnitt. Aber es gibt auch Ideen, das ehema­lige Fabrik­viertel neu nach vorn zu bringen. Projekte wie das städ­te­bau­liche Programm „Soziale Stadt“ fördern das bereits vorhan­dene Poten­tial.

„Ich bin ein Lieb­haber von schönen Plätzen und wollte, dass hier wieder mehr Leben einkehrt.“

Peter-Michael Schmidt, Rehm­platz­nachbar

Ein Netz­werk von Hunderten

Doch wie packt man das an? Silke weiß das von der tägli­chen Arbeit: „Wir haben ein Netz­werk von Hunderten Aache­ne­rinnen und Aache­nern aufge­baut. Und wir sind mitten­drin und hören zu, wir nehmen jeden Anwohner ernst. Die sind schließ­lich die Experten vor Ort.“ Eine grund­sätz­liche Idee des Projekts ist nämlich, dass die Bürger:innen bei der Gestal­tung des Stadt­teils mitreden. Silke und ihr Team treffen diese Aachener:innen und finden heraus, was heute für die Zukunft des Rehm­platzes und anderer Viertel gestaltet werden kann.

Peter-Michael, der seit 38 Jahren in der Maxstraße wohnt, weiß das zu schätzen. Schließ­lich zeigen alle Fenster seiner Wohnung auf den Rehm­platz. „Ich bin ein Lieb­haber von schönen Plätzen in Städten“, schwärmt er. „Ich hatte direkt die Hoff­nung, dass wieder mehr Leben einkehrt in das Viertel. Dass sich die Nach­barn auf dem Platz begegnen.“

Und so kam es, noch bevor der Platz sich baulich verän­dern sollte. Eine Gruppe von Menschen schloss sich zusammen. Sie wurden die Rehm­platz­nach­barn. Darunter auch Peter-Michael. Sie tauschen sich seit fast zehn Jahren regel­mäßig aus, machen gemeinsam Pick­nick und beraten sich, wie ihr Rehm­platz in Zukunft aussehen soll.

Gemeinsam mit der Stadt­ent­wick­lung und anderen Planern gestal­teten sie den Platz mit ihren Ideen und Erfah­rungen neu. Jetzt beleuchten Strahler die Mari­en­säule, damit es nicht ganz so dunkel ist, wenn der Abend anbricht. Kinder spielen auf einem Klet­ter­ge­rüst, Eltern erzählen mitein­ander.

Diese Tür steht allen Kindern und Jugend­li­chen offen. Ange­lika ist für sie da.

Ange­lika ist da und öffnet Türen

Ange­lika Diehl ist mit Emir verab­redet. Sie werden Back­gammon spielen und ein biss­chen reden. Über Emirs drei Geschwister, über sein Ehrenamt beim Jugend­rot­kreuz und über die Masken­pflicht. Ange­lika weiß, wie wichtig es für den 14-Jährigen ist, hier zu sein.

Sie arbeitet seit 38 Jahren als Erzie­herin beim Kinder- und Jugend­zen­trum der Stadt Aachen. Mitt­ler­weile ist sie 64 Jahre alt und leitet die Offene Tür in der Talstraße. Die meisten sagen einfach bloß „die OT“ dazu. Hier treffen sich nach Schul­schluss Schüler:innen, um zusammen mit den fünf Betreuer:innen zu spielen, Sport zu machen, zu kochen, zu klönen. Etwa 40 junge Besu­cher kommen täglich durch diese Tür. Die meisten wohnen in den angren­zenden Vier­teln oder kommen von der Haupt­schule Aretz­straße. Die liegt ganz in der Nähe der ehema­ligen Stra­ßen­bahn-Wagen­hallen des Depots.

„Als Erwach­sene kommen sie zurück, zeigen ihre Kinder oder erzählen von ihren Berufen. Oft hängen diese mit den Inter­essen zusammen, die sie hier für sich entdeckt haben.“

Ange­lika Diehl, Erzie­herin

„Im Depot sind wir jetzt seit fünf Jahren. Wir haben für die Kinder hier viel mehr Raum als früher. Sie können auspro­bieren, was sie inter­es­siert, und sich auspo­wern“, sagt Ange­lika über die Verän­de­rungen, die zum Teil durch das Projekt „Soziale Stadt Aachen-Nord“ möglich waren. Jetzt gibt es hier ganze zehn Räume. Zum Beispiel einen Kunst­raum mit Papier, Farbe und Glitzer, um kreativ zu werden. Einen Raum mit Spie­gel­wänden und einer Musik­an­lage, in dem getanzt wird. „Das Suer­mondt-Ludwig-Museum hatte mal einen Spie­gel­raum. Als der aufge­löst wurde, haben wir gefragt, ob wir die Spiegel kriegen können. Konnten wir.“ Ange­lika und ihr Team packen an, damit die Räume immer noch ein Stück besser werden.

Ein neuer Norden

Es gibt eine Küche mit einem Tisch, an dem alle gemeinsam essen. Die tradi­tio­nellen Feste wie Weih­nachten, Ostern und Ramadan werden zusammen gefeiert, und wenn die Jugend­li­chen einmal heraus­ge­wachsen sind aus der OT, kommen sie später sicher nochmal vorbei, um zu erzählen, was aus ihnen geworden ist. Dann stellen sie ihre Kinder vor oder erzählen von den Berufen, die sie gelernt haben. Oft haben diese Berufe mit den Inter­essen zu tun, die sie in der Zeit im Jugend­zen­trum für sich entdeckt haben.

Ende 2022 wird Ange­lika in den Ruhe­stand gehen. „Andere in meinem Alter fragen mich jetzt öfter, wie lange ich noch arbeiten muss. Arbeiten ist bei mir kein Muss. Gehen, das muss ich.“ Ganz sicher enga­giert sie sich auch noch danach.

In den vergan­genen zehn Jahren haben zahl­reiche Öcher:innen tatkräftig beim Städ­tebau im Norden mitge­macht, mitge­dacht und mitver­än­dert. Jedes Projekt bringt ein anderes in Schwung. Jede Stim­mung, die entfacht wird, schwappt hinüber zu einer anderen Gruppe oder ins angren­zende Viertel. Alle zusammen legen Grund­steine für einen neuen Norden. Enga­giert, aktiv und lebens­wert – ein Stadt­teil, der sich in den kommenden Jahren weiter­ent­wi­ckeln will.


An diesen Orten haben wir die Öcher:innen getroffen

Aben­teu­er­spiel­platz „Zum Kirsch­bäum­chen”

Aben­teu­er­spiel­platz des Kinder­schutz­bundes Aachen e.  V. „Zum Kirsch­bäumchen”

Will­kommen ist jedes Kind von 5 bis 15 Jahren montags bis frei­tags von 8 bis 18 Uhr. Zweimal im Monat ist der Spiel­platz für Fami­lien auch sams­tags von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Pädagog:innen und Betreuer:innen vom Kinder­schutz­bund e. V. sind für die Kinder da.

Kontakt:

Kinder­schutz­bund Aachen
www.kinderschutzbund-aachen.de/abenteuerspielplatz
Hier liegt der Aben­teu­er­spiel­platz.

Rehm­platz

Dieser Platz ist schon seit Mai 2015 schöner als zuvor. Es gibt Spiel- und Bewe­gungs­an­ge­bote für jedes Alter: ein im Boden einge­las­senes Tram­polin, ein Klein­kind-Klet­ter­ge­rüst, bepflanzte Hoch­beete, Wasser­fon­tänen, eine Tisch­ten­nis­platte, eine große Holly­wood­schaukel und andere Sitz­ge­le­gen­heiten.

Auf dem Rehm­platz kann man gut seine Zeit vertreiben und das Leben im Viertel spüren.

OT Talstraße

Die Tür des Kinder- und Jugend­zen­trums der Stadt Aachen steht Kindern und Jugend­li­chen von 6 bis 27 Jahren offen. In der OT, also der Öffenen Tür, arbeiten fünf Betreuer:innen.

Kontakt:

OT Talstraße
www.aachen.de
Auf der Hinter­seite des Depots in der Talstraße im Stadt­teil Aachen-Nord findest du die offene Tür des Kinder- und Jugend­zen­trums.

Das Projekt “Soziale Stadt Aachen-Nord”

Für das städ­te­bau­liche Programm „Soziale Stadt“ hat das Land NRW von 2011 bis Ende 2021 Geld­mittel bereit­ge­stellt, um Aachen-Nord zu verän­dern. Einen Teil der Kosten über­nimmt aber auch die Stadt Aachen.

Das Stadt­teil­büro Aachen-Nord hält alle Fäden zusammen. Bis Ende 2023 werden noch vier weitere Projekte anvi­siert: Der Euro­pa­platz, der Premi­umweg Wurmtal sowie Tal- und Schei­ben­straße werden neu gestaltet, und entlang der Straße Zum Kirsch­bäum­chen entstehen neue Bereiche für Kinder und Jugend­liche.

Kontakt:

Silke Gärtner vom Stadt­teil­büro Aachen Nord
findet man im Depot Talstraße oder erreicht sie per Telefon 0241 43256318 oder Mail info-ac-nord@mail.aachen.de


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