Inter­view„Aachen isst herz­haft und süß“

Die Weih­nachts­le­ber­wurst ist eine Spezia­lität aus Aachen. Wir haben den Gourmet Johannes J. Arens gefragt, was es über die Wurst zu wissen gibt. Und ob sie über­haupt eine Zukunft hat.

Johannes, was macht die Aachener Weih­nachts­le­ber­wurst aus und was kommt da rein?

Zunächst einmal darf die Aachener Weih­nachts­le­ber­wurst nur im Stadt­ge­biet herge­stellt werden. Sie zeichnet sich im Wesent­li­chen dadurch aus, dass der Sahne­an­teil höher ist als bei der regu­lären Leber­wurst, das ist die Basis. Wenn man sich bei den verschie­denen Metz­gern in der Stadt umschaut, gibt es unter­schied­liche Vari­anten. Manche verwenden zusätz­lich weih­nacht­liche Gewürze wie Nelke, Kori­ander, Kardamom oder Zimt. Andere mischen Prei­sel­beeren unter.

Beschreib doch mal den Geschmack.

Das Beson­dere an der Weih­nachts­le­ber­wurst ist für mich eigent­lich weniger der Geschmack, mehr der Verzehr. Man isst sie auf süßem Brot oder Bröt­chen. Ein Rosi­nen­bröt­chen mit Leber­wurst mag woan­ders in Deutsch­land viel­leicht befremd­lich wirken, aber die Kombi­na­tion aus Herz­haftem und Süßem ist für die Aachener ein Stück Iden­tität.

Ist das auch als Beschrei­bung der Aachener zu verstehen?

Aachen liegt im Drei­län­dereck und mit den Nach­barn hat man große kuli­na­ri­sche Gemein­sam­keiten. Die Printe als Marken­zei­chen ist ja zum Beispiel etwas Aachen-Typi­sches, kam aber im 15. Jahr­hun­dert über Belgien hierher. Im Lauf der Zeit entwi­ckelte sich hier auffällig viel Süßwa­ren­in­dus­trie: Lindt, Zentis und Lambertz sind in der Region ange­sie­delt. Also das Süße hat hier immer eine bedeu­tende Rolle gespielt. Ansonsten isst der Aachener ein Stück weit auch deftig – im besten Sinne. Das hört man ja auch am Dialekt. (lacht) Beides findet man in dieser Kombi­na­tion von Weih­nachts­le­ber­wurst auf Rosi­nen­bröt­chen wieder.

„Diese Leber­wurst isst man tradi­tio­nell auf einem Rosi­nen­bröt­chen.“

Johannes J. Arens

Was ist denn über die Entste­hungs­ge­schichte der Weih­nachts­le­ber­wurst bekannt?

Es gab früher sehr viele Metz­ge­reien, klei­nere Fami­li­en­be­triebe in der Stadt. Bei denen hatte es sich Ende des 19. Jahr­hun­derts einge­bür­gert, dass beson­ders gute Kunden zur Weih­nachts­zeit zu ihrem Einkauf ein kleines Geschenk bekamen – die Weih­nachts­le­ber­wurst. Irgend­wann haben die Kunden gefragt, ob man die auch kaufen kann. Daraus ist dann diese Sitte entstanden. Und 2008 kam dann noch die neue Tradi­tion des Anschnitts durch den Ober­bür­ger­meister bezie­hungs­weise die Ober­bür­ger­meis­terin hinzu.

Anschnitt?

Ja, das ist ein biss­chen wie der Fass­an­stich auf dem Münchner Okto­ber­fest. Einige Metzger haben vor Jahren den Verein „Aachener Aixtra-Flei­scher“ gegründet. Sie wollen die Weih­nachts­le­ber­wurst und zwei weitere Aachener Wurst­spe­zia­li­täten – Öcher Puttes und Karls­wurst – besser vermarkten und sich unter­ein­ander austau­schen. Sie haben in der Spezia­lität ein großes Poten­zial für die Iden­tität mit der Stadt, aber auch touris­ti­scher Art gesehen.

Diese Metzger kommen nun jedes Jahr im Oktober ins Rathaus. Das Stadt­ober­haupt schneidet dann eine Weih­nachts­le­ber­wurst an und eröffnet so die Saison. Der Verein verschenkt dabei auch immer etliche Kilo­gramm Wurst an kari­ta­tive Einrich­tungen.


Es geht um die Weih­nachts­le­ber­wurst:


Aber bitte mit Sahne!

Erst beson­ders viel Sahne macht diese Wurst zur Weih­nachts­le­ber­wurst.


Stollen zum Strei­chen

Beliebte Zusätze sind Prei­sel­beeren, Nüsse und Honig.


Schmeckt nach Weih­nachten

Typi­sche Winter­ge­würze wie Kori­ander, Kardamom, Anis und Ingwer dürfen nicht fehlen.


Aachen hoch zwei

Kenner schätzen eine weitere regio­nale Spezia­lität als Zutat: Aachener Printen.


Schwein gehabt

Viele verschie­dene Fleisch­an­teile sind drin: Muskel, Speck, Backen, Inne­reien — und natür­lich bis zu 40 % Leber.


Wie bist du denn eigent­lich auf die Wurst gekommen?

Als Kultur­anthro­po­loge beschäf­tige ich mich mit dem Alltag der Menschen. Und da spielen Essen und Trinken eine große Rolle. Die Wurst ist so etwas wie der kleinste gemein­same Nenner unserer Ernäh­rung. Darauf scheinen wir uns alle einigen zu können. Das sieht man auch daran, dass mit dem Trend der fleisch­losen Ernäh­rung zugleich auch vege­ta­ri­sche oder vegane Wurst auf den Markt kam. Darauf scheinen wir nicht verzichten zu wollen.

Ich habe mich auch in Vorträgen mit dem Thema Wurst beschäf­tigt. Daraus entstand dann das – inzwi­schen vergrif­fene – Buch „Chorizo, Salame und deut­sche Zervelat: Europas Zukunft und die Wurst­kultur“. Später habe ich den Verein der Aixtra-Flei­scher ein wenig bei der Kommu­ni­ka­tion unter­stützt, als sie die geschützte regio­nale Angabe für die Wurst bean­tragten.

Wurde die geschützte geogra­fi­sche Angabe auch bewil­ligt?

Ja, diese zweit­höchste Stufe des euro­päi­schen Schutzes für Lebens­mittel wurde bewil­ligt. Im Übrigen auch für den Öcher Puttes, also die Aachener Vari­ante der Blut­wurst.

„Ich fände es toll, wenn es eine Weih­nachts­le­ber­wurst gäbe, die auch Vege­ta­rier essen können.“

Johannes J. Arens

Wie schätzt du die Bedeu­tung der Weih­nachts­le­ber­wurst in Aachen ein?

Wenn man sich die Aachener Stadt­ge­sell­schaft anschaut, haben wir einer­seits dank der großen Uni einen hohen Anteil an Studie­renden. Da die von überall herkommen, würde ich vermuten, dass sie mit der Weih­nachts­le­ber­wurst nicht immer etwas anfangen können. In anderen Milieus spielt die Wurst eine große Rolle. Etwa bei den Leuten, die sich als bürger­li­ches Funda­ment der Stadt verstehen, die die Tradi­tionen schätzen und die lokalen kleinen Metz­ge­reien unter­stüt­zens­wert finden.

Meine Schwie­ger­mutter beispiels­weise wohnt in Aachen und für die ist ganz klar, dass sie sich im Advent Weih­nachts­le­ber­wurst kauft. Die isst sie gerne, und weil es die Wurst nur zur Weih­nachts­zeit gibt, ist das für sie etwas Beson­deres. Ande­rer­seits gibt es beispiels­weise durch die Zuwan­de­rung mehr und mehr Menschen, die mit einer Wurst, die aus Inne­reien vom Schwein besteht, nicht viel anfangen können.

Der gebür­tige Aachener Johannes J. Arens lebt seit 2016 in Köln, ist Kultur­anthro­po­loge und beschäf­tigt sich seit Jahren beruf­lich mit Essen und Trinken. Er arbeitet als freier Jour­na­list und Autor, schreibt eine monat­liche kuli­na­ri­sche Kolumne in der Wochen­zei­tung „der Freitag“ und veröf­fent­licht die Zeit­schrift „Zwischen­gang – über Essen und Trinken in Köln“.

Hat die Weih­nachts­le­ber­wurst also über­haupt eine Zukunft?

Oje, bei solchen Fragen kriege ich bestimmt bald Einrei­se­verbot in die Stadt! (lacht) Also, was die Zukunft angeht, sehe ich zwei Tendenzen. Einer­seits kaufen auch finanz­kräf­tige jüngere Menschen wieder häufiger beim Metzger ein. Es gibt da ein erstar­kendes Bewusst­sein für das tradi­tio­nelle Regio­nale oder Lokale. Deshalb sehe ich da eine gewisse Zukunfts­per­spek­tive.

Auf der anderen Seite spielt der demo­gra­fi­sche Wandel eine Rolle. Inso­fern wäre es an der Zeit, dass sich die Metzger damit beschäf­tigen, andere Ziel­gruppen zu erschließen. Ich fände es zum Beispiel toll, wenn es eine Weih­nachts­le­ber­wurst gäbe, die auch für Muslime geeignet wäre. Auch wenn sie viel­leicht kein Weih­nachten feiern, haben sie aber schon einen Bezug zum Fest, wenn sie hier in der zweiten oder dritten Gene­ra­tion leben.

Dann gibt es natür­lich auch noch das Thema Klima­wandel, seine Folgen und die Frage, welche Rolle unser eigener Konsum dabei spielt. Man könnte ja auch mal über eine vege­ta­ri­sche oder vegane Vari­ante nach­denken. Das wäre natür­lich nicht direkt vergleichbar – aber zusammen mit dem klas­si­schen Produkt viel­leicht ein Schritt in Rich­tung Zukunft. 


Gleich weitersagen!


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