Archäo­logie „Ich rette Kultur­schätze“

Donata Kyritz ist Archäo­login und begleitet die Arbeit auf Baustellen. In den Gruben hält sie Ausschau nach Spuren aus der Vergan­gen­heit im Boden. Wenn sie etwas entdeckt, stoppt sie die Bagger.

Donata, wenn in Aachen Bagger in der Erde wühlen, bist du dabei und suchst nach Dingen aus vergan­genen Zeiten. Warum tust du das?

Aus Leiden­schaft: Archäo­login zu werden war schon mein Kind­heits­wunsch. Mein Vater schenkte mir den „Times Atlas der Archäo­logie“. Das war für mich ein rich­tiger Schatz. Ich dachte aber, dass es nichts mehr zu finden gibt, bis ich mal groß bin. Da habe ich mich zum Glück getäuscht. Und es krib­belt immer noch jedes Mal, wenn ich an der Baugrube stehe und etwas entdecke. Auch wegen des guten Gefühls, etwas von früher für die Zukunft zu retten.

Und was entdeckst du auf den Baustellen?

Reste von Mauern oder Gebäuden, Alltags­ge­gen­stände, aber auch mensch­liche Knochen oder ganze Skelette. Zusam­men­ge­fasst also Dinge, die uns helfen, das Leben unserer Vorfahren zu verstehen.

Wenn etwas zum Vorschein kommt, stoppst du also den Bagger?

Ja genau. Meis­tens muss ich aber noch gar nichts sehen, um zu ahnen, dass da etwas ist: Ich höre es, wenn sich das Geräusch ändert, das die Bagger­schaufel beim Abtragen der Erde macht. Das heißt für mich: Da ist eine andere Schicht, da könnte etwas sein! Wenn ich dann etwas sehen kann, sage ich dem Bagger­fahrer, dass er anhalten soll – und lege das Fund­stück ganz behutsam frei.

Eine Baustelle archäo­lo­gisch zu begleiten, bedeutet für Donata: genau hinschauen und ‑hören. Wenn sich das Geräusch der Bagger­schaufel in der Erde ändert, könnte gleich etwas auftau­chen.
Hat Donata etwas entdeckt, muss das große Gerät erst einmal den feinen Werk­zeugen der Archäo­login weichen. Um den Fund frei­zu­legen, geht sie ganz vorsichtig ans Werk.

Nervt das die Leute vom Bau nicht, dass sie dann nicht weiter­ar­beiten können?

Doch, manchmal schon. Aber meis­tens läuft es gut. Wir schauen immer, dass sie auch bei Still­stand an anderer Stelle weiter­ar­beiten können, während wir einen Fund frei­legen. Außerdem lasse ich sie merken, dass ich mich als Teil des Baustel­len­teams verstehe und nicht als Akade­mi­kerin, die kommt und ihnen Vorgaben macht. Manche Bauar­beiter können sich auch richtig für die Archäo­logie begeis­tern. Und ich selbst lerne auch dazu. Ich kann zum Beispiel einen Bagger bedienen.

Was sagst du Menschen, die kein Verständnis dafür haben, dass sich eine Baustelle wegen der Archäo­logie verzö­gert?

Tatsäch­lich schimpfen manche und sagen: „Bleib mir weg mit dem alten Zeug.“ Ich erkläre ihnen erst einmal, dass nicht ich verant­wort­lich bin, sondern es poli­tisch so gewollt ist, dass wir Denk­mäler schützen. Unsere Gesell­schaft will es so. Deshalb gibt es das Denk­mal­schutz­ge­setz: Stellt jemand einen Bauan­trag, prüft der Stadt­ar­chäo­loge, ob es an der Stelle Boden­denk­mäler geben könnte. Wenn das so ist, müssen Bauherren die Archäo­logie bei der Arbeit an der Baustelle dazu­holen. Der Haupt­auf­trag­geber meines archäo­lo­gi­schen Büros ist der Netz­be­treiber Regio­netz. Bei dessen Arbeiten in der Innen­stadt ist fast immer jemand von uns dabei. Es gibt auch die Menschen, die stehen bleiben und inter­es­siert zuschauen. Vielen ist die Vergan­gen­heit wichtig. Und deshalb bewahren wir sie.

„Es krib­belt immer noch jedes Mal, wenn ich an der Baugrube stehe und etwas entdecke“

Donata Kyritz

Gibt es einen Fund, der dir beson­ders im Gedächtnis geblieben ist?

Ich finde es immer beson­ders span­nend, wenn ich Skelette finde, wie beispiels­weise im September 2022 in der Matthi­a­s­hof­straße. Zu wissen, dass dieser Mensch vor 400 oder 500 Jahren hier war, und mir vorzu­stellen, wie anders seine Umge­bung war als unsere heutige – das gefällt mir. Aber auf einen Fund fest­legen kann ich mich nicht. Archäo­logie in Aachen ist ein Über­ra­schungsei: An Stellen, an denen wir denken, da findet sich sicher etwas, ist etwa nur Bausand, weil früher vieles wegge­bag­gert wurde. Dafür stoße ich an einer uner­war­teten Stelle zum Beispiel plötz­lich auf die Reste einer bislang nicht bekannten Stein­zeit­sied­lung.

Aus welchen Epochen findest du denn in Aachen die meisten Spuren?

Leider finden wir – das sind die Mitar­bei­tenden meines archäo­lo­gi­schen Büros und ich – wenig aus der Römer- und der Karo­lin­ger­zeit. Denn im Mittel­alter wurde vieles abge­tragen, um neue Wege anzu­legen. Deshalb haben wir meis­tens Funde aus dem 12. bis 15. Jahr­hun­dert. Und da haupt­säch­lich Teile von Häusern. Ein anderer Schwer­punkt ist die Neuzeit, also vom 17. bis zum 19. Jahr­hun­dert.

Donata versteht sich als Teil des Baustel­len­teams. Durch ihre Arbeit hat die promo­vierte Archäo­login sogar das Bagger­fahren gelernt.

Jeden Fund doku­men­tiert Donata fein­säu­ber­lich. Auf der Foto­tafel, die sie beim Foto­gra­fieren neben einen Fund legt, stehen Daten wie Ort, Datum und Nummer.

Häufig findet Donata Alltags­ge­gen­stände wie diesen Boden eines Stein­zeug­ge­fäßes aus dem 16. Jahr­hun­dert. Am span­nendsten findet sie aber Skelette.

Was passiert mit den Fund­stü­cken?

Wir betreiben Rettungs­ar­chäo­logie und keine Forschung. Das heißt, wir bereiten die Dinge, die wir finden, auf, reinigen und doku­men­tieren alles. Wenn das erle­digt ist, kommen die Fund­stücke nach Mecken­heim. Dort sammelt das Amt für Boden­denk­mal­pflege im Rhein­land die Funde. Wer sie für die Forschung oder für Ausstel­lungen in Museen braucht, kann sie da heraus­su­chen.

Bist du stolz, wenn du einen deiner Funde im Museum siehst?

Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich mir schon mal einen meiner Schätze im Museum ange­schaut habe. Aber in den Archäo­lo­gi­schen Fens­tern, die es in der Innen­stadt gibt, sind Funde von mir dabei. Zum Beispiel in dem Fenster in der Klap­per­gasse. Dort sieht man ein Mauer­stück aus dem 9. oder 10. Jahr­hun­dert und eine Stein­rinne, die bis 1941 eine Mühle, die dort stand, mit Wasser versorgte. Auf diese Fenster bin ich schon stolz. Oder viel­leicht tref­fender: Ich bin froh darum, dass wir dieses Erbe bewahren konnten.


Fund­stücke

Die Roset­ten­fibel aus dem 9./10. Jahr­hun­dert fand Donata in der Groß­köln­straße. Mit zwei Zenti­me­tern ist das Schmuck­stück unge­fähr so groß wie ein Ansteck­button. „Ein solcher Fund lässt einen den Menschen hinter dem Objekt sehen – mit seinem Wunsch, sich zu schmü­cken oder sich einer Gruppe zuge­hörig zu zeigen. Ein unver­än­derter mensch­li­cher Wesenszug“, sagt sie darüber.

Diese Pötz­kanne aus Langer­wehe erzählt vom Waren­handel im 16. und 17. Jahr­hun­dert. Stein­zeug aus dem Aachener Raum kam bis nach Skan­di­na­vien und Groß­bri­tan­nien. Dieser Fund stammt von einer Baustelle in der Straße An den Frau­en­brü­dern. Vermut­lich gehörte die Kanne für Wasser oder Öle den hier ansäs­sigen Nonnen und stand im Kloster in der Küche oder im Spei­se­saal.

Diese Knochen gehörten einem Menschen, der einst durch die Straßen Aachens ging. Sie stammen aus den Resten von Gräbern, die Donata 2022 in der Matthi­a­s­hof­straße aufdeckte. Dort war ein Friedhof, der dem Begi­nenhof vorge­la­gert war. Einige Gräber waren schon so zerstört, dass nur noch Frag­mente der Skelette erhalten waren.

Von diesem Tafel- und Gebrauchs­ge­schirr speisten die Römer im 2./3. Jahr­hun­dert. Donata fand es unter dem Markt­platz. Sie nennt den Fund „Müll aus alten Zeiten, der etwas über den Lebens­stan­dard der Menschen von damals erzählt“.

Die Regio­netz GmbH

hält die Gas‑, Wasser‑, Strom‑, Wärme- und Abwas­ser­netze in Schuss. Dazu muss sie häufig die Erde an Stellen aufbud­deln, an denen Span­nendes aus der Vergan­gen­heit zu erwarten ist. Dann kommt Donata Kyritz mit ihrem Team zum Einsatz. Denn im Denk­mal­schutz­ge­setz des Landes Nord­rhein-West­falen gibt es seit 2013 das soge­nannte Verur­sa­cher­prinzip: Wer etwas baut, wo ein Boden­denkmal sein könnte, muss für eine Unter­su­chung und Bergung sorgen. Die Kosten dafür sollten jedoch im Rahmen des Zumut­baren sein. Unter Denk­mä­lern versteht man alle Dinge, die bedeu­tend für die Geschichte sind.


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